Mutterkorn – Nur durch ständige Kontrolle bleiben Verbraucher:innen sicher

Vergiftungen durch Mutterkorn waren im Mittelalter weit verbreitet. Der Verzehr von kontaminiertem Brot oder anderen Getreideprodukten führte zu epidemieartigen Krankheitsausbrüchen mit Tausenden von Toten. Lange war die Ursache dieser Krankheit unbekannt, was die Menschen verunsicherte und Angst in der Bevölkerung schürte. So wurden die auch als „Antoniusfeuer“ bezeichneten Symptome als Strafe Gottes betrachtet, dem die Menschen hilflos ausgeliefert waren.

Nur etwa zwei bis fünf Zentimeter lang sind die dunkel-violetten hornförmigen Dauerkörper (Sklerotien (secale cornutum)) des parasitären Pilz Claviceps spp. der die Giftstoffe trägt. Mutterkorn wächst vorwiegend in Roggenähren, von denen es, aufgrund der ähnlichen Farbe und Form schlecht unterschieden werden kann. Ein Befall mit Mutterkorn ist besonders hoch in nassen Frühsommern, in denen es während der Blütezeit des Korns von Ende Mai bis Anfang Juni viel regnet.

Mutterkornalkaloide (Ergotalkaloide) sind die giftigen Inhaltsstoffe des Mutterkorns. Bisher wurden über 80 verschiedene Ergotalkaloide identifiziert. Die Toxizität der verschiedenen Ergotalkaloide unterscheidet sich, weshalb Art und Schwere der Vergiftung von den in den jeweiligen Sklerotien vorkommenden Alkaloiden abhängt.

Bei einer Vergiftung mit Mutterkorn kommt es akuttoxisch zu Symptomen wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Bluthochdruck. Darüber hinaus werden Missempfindungen, wie Kribbeln in den Extremitäten, Halluzinationen oder Krämpfe wie Uteruskontraktionen oder Herzrhythmusstörungen beschrieben. Bei schweren Vergiftungsfällen kann dies zum Absterben von Extremitäten oder durch zentrale Atemlähmung zum Tod führen.

Chronische Vergiftungen mit hohen Mengen and Ergotalkaloiden zeichnen sich durch zwei unterschiedliche Krankheitsbilder aus. So können sie zum einen zu brennenden Schmerzen, sogenanntes „Antoniusfeuer“ bzw. „Ergotismus gangraenosus“, führen, Nekrosen sowie Spasmen und das Absterben von Gliedmaßen auslösen oder zum Tod führen. Zum anderen können sie das zentrale Nervensystem angreifen und Dysfunktionen auslösen, die sich durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Krämpfe und Psychosen zeigen und als „Ergotismus convulsivus“ bezeichnet werden.

Heute ist die Gefahr durch Mutterkorn für Verbraucher nicht mehr so präsent wie füher, sie ist aber keineswegs verschwunden. Mutterkorn wird heute beim Reinigen des Getreides in der Mühle durch Sieben, den Einsatz von Farbscannern oder durch Windsichtung aufgrund der unterschiedlichen Dichte zwischen Mutterkorn und Getreidekorn entfernt. Eine vollständige Reinigung von Mutterkorn ist jedoch auch mit diesen Maßnahmen nicht möglich. Der bisher von der EU festgelegte Grenzwert von 0,5 g/kg Mutterkornsklerotien für unverarbeitetes Getreide mit Ausnahme von Mais, Reis und Roggen, wurde im letzten Jahr auf 0,2 g/kg gesenkt. Für unverarbeiteten Roggen bleibt der bisherige Grenzwert von 0,5 g/kg zunächst bestehen und wird zum 1. Juli 2024 auf 0,2 g/kg gesenkt. Darüber hinaus wird in dieser Verordnung erstmals durch die Angabe eines zusätzlichen Ergotalkaloid-Grenzwerts berücksichtigt, dass der Ergotalkaloid-Gehalt von Mutterkorn zu Mutterkorn stark variieren kann und sich somit ein direkter Zusammenhang zwischen Mutterkornbefall und Ergotalkaloidgehalt nicht direkt ableiten lässt. Beides Maßnahmen, die vom BfR begrüßt werden. Darüber hinaus empfiehlt das BfR aber in seiner Stellungnahme vom September 2023 Vorhaben zur weiteren Absenkung der Höchstgehalte in der EU zu unterstützen.

Text: Ute Haßmann

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Der Vorschlag von Mutterkorn als diesmonatiges Gifts zu küren…

kam von Dr. Philip Marx-Stölting, Fachgruppenleiter der Fachgruppe Prüf- und Bewertungsstrategien Pestizide des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) und Vorsitzender des GT-Arbeitskreises 3R Praxis / Alternativmethoden und rückt damit unseren Blick auf eine Gruppe von natürlich vorkommenden Giftstoffen, deren Bildung auch heute, bei modernstem Getreideanbau nicht gänzlich vermieden werden kann. In seiner aktuellen Stellungnahme (s. u.) bewertet das BfR die Anpassung der geltenden Höchstmengen und schätzt die daraus resultierende Sicherheit für Verbraucher ab.

Vorkommen von Mutterkorn

Ergotalkaloide werden von allen Pilzspezies der Gattung Claviceps gebildet. In Europa ist die Pilzspezies Claviceps purpurea am weitesten verbreitet und infiziert vor allem Süßgräser (Poaceae), zu denen Roggen, Weizen, Gerste und Hafer gehören. Im Vergleich zu anderen Getreidearten weist Roggen die höchsten Ergotalkaloid-Gehalte auf.

Mutterkornalkaloide

Mutterkornalkaloide sind organische Verbindungen und gehören chemisch zur Gruppe der Indolalkaloide. Bis heute sind etwas mehr als 80 Formen der Mutterkornalkaloide bekannt von denen ein großer Teil stark giftig ist. Arthur Stoll isolierte 1918 mit Ergotamin das erste reine Mutterkornalkaloid. Ein weiteres Mutterkornalkaloid, die Lysergsäure lieferte den Ausgangsstoff für LSD. Die Synthese der Droge LSD gelang dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann 1938, der eigentlich auf der Suche nach einem Keislaufstimulans war.

Namensgebend

Mutterkorn wurde früher eingesetzt, um Abtreibungen durchzuführen, denn es hatte eine wehenauslösende Wirkung, was wahrscheinlich namens gebend war.

Sind die aktuellen Grenzwerte sicher?

Das BfR stuft in seiner Stellungnahme vom September 2023 das Verbraucherrisiko einer gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Ergotalkaloide allgemein als gering ein, kommt aber zu dem Schluss, dass bei einer einmaligen bzw. kurzfristigen Aufnahme von Roggenprodukten bei Kindern gesundheitliche Beeinträchtigungen auch unter Berücksichtigung der neuen Grenzwerte auftreten können. Roggen und Roggenmahlerzeugnisse sowie Weizen (inkl. Dinkel) und Hafer leisten den größten Beitrag zur Exposition bei Kindern. Dabei ergab sich diese Schlussfolgerung nicht nur bei der Berechnung auf Basis der akuten Referenzdosis (ARfD) in Höhe von 1 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag (1 μg/kg KG und Tag), die im Jahr 2012 im Rahmen einer Stellungnahme durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festgelegt wurde, sondern auch bei Berechnung auf Basis der gemessenen Ergotalkaloid-Gehaltsdaten der Labore der amtlichen Überwachung der Bundesländer aus den Jahren 2013-2021.

Genotoxische und kanzerogenes Potential von Ergotalkaloiden

Ob Ergotalkaloide über ein genotoxisches, das heißt erbgutschädigendes oder kanzerogenes Potential verfügen, kann derzeit noch nicht abschließend geklärt werden, da noch zu wenig Forschungsdaten vorhanden sind. Auf Grundlage der bisher verfügbaren Studien geht die EFSA bisher von einem nicht genotoxischen Mechanismus aus, der eine sichere Schwelle für die Exposition von Ergotalkaloiden erlauben würde, fordert aber mehr Forschung in diesem Bereich.