Ethanol: Zwischen Alltagsstoff und toxikologischer Neubewertung – Herausforderungen einer harmonisierten Einstufung
Ethanol gehört weltweit zu den am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen. In Europa ist der Umgang mit Ethanol stark kulturell geprägt und tief in gesellschaftlichen Ritualen und Traditionen verankert. Gleichzeitig ist Ethanol ein chemischer Grundstoff, der in einer Vielzahl industrieller Anwendungen unverzichtbar ist.
Ethanol wirkt primär zentralnervös, indem es wichtige Rezeptoren im Gehirn, wie den Gamma-Aminobuttersäure Typ A-Rezeptor (GABA, hemmend), N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDA, anregend) und 5HT-Hydroxytryptamin-Rezeptor (auch bekannt als Serotoninrezeptor) moduliert. Die Folge sind dosisabhängige Effekte, die von beruhigend, angstlösend und stimmungsaufhellend und leichter Sedierung, bis zu Atemdepression und Tod reichen können. Chronischer Konsum von höheren Mengen Alkohol kann Lebererkrankungen und neurologische Schäden zur Folge haben. Auch eine krebserregende Wirkung bei regelmäßigem Konsum ist wissenschaftlich anerkannt, weshalb Ethanol von der IARC in Gruppe 1 als „beim Menschen karzinogen“ eingestuft ist – u. a. für Mundhöhlen-, Speiseröhren-, Leber-, und Brustkrebs.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) betont, dass es keine sichere Untergrenze für den Konsum von Ethanol gibt. Trotz dieser eindeutigen toxikologischen Bewertung ist Ethanol in Getränken und Lebensmitteln vorhanden und, anders als z. B. bei Zigaretten, wird mit keinem Warnhinweis auf der Verpackung auf die Toxizität hingewiesen.
Veränderung kommt hingegen in die Bewertung von Ethanol als industrieller Stoff durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA). Hier wird Ethanol derzeit im Rahmen zweier paralleler Verfahren geprüft. Im Rahmen des Biozidverfahrens als Biozidwirkstoff nach der Biozid-Produkte-Verordnung (BPR) schlägt Griechenland, als zuständiger Mitgliedstaat eine Einstufung von Ethanol als reproduktionstoxisch Kategorie 2 vor. Eine solche Klassifizierung bedeutet, dass ein begründeter Verdacht auf schädliche Wirkungen auf die Fortpflanzung besteht. Weiterhin wurde Ethanol unter der Biozid-Verordnung als potenzieller Substitutionskandidat identifiziert. Dies bedeutet, dass für bestimmte Biozidproduktarten derzeit geprüft wird, ob sicherere Alternativen existieren. Eine öffentliche Konsultation zur Bewertung sicherer Alternativen lief bis zum 28. April 2025. Bei einem positiven Ausgang müssten Hersteller künftig nachweisen, dass keine geeigneten Ersatzstoffe verfügbar sind, um weiterhin Zulassungen zu erhalten.
Weiterhin wird derzeit eine mögliche Einstufung von Ethanol als CMR (krebserregend, erbgutverändernd, reproduktionstoxisch) -Stoff gemäß CLP-Verordnung diskutiert. Sollte Ethanol harmonisiert als CMR-Stoff eingestuft werden, hätte dies weitreichende Konsequenzen. Viele Produkte, etwa ethanolhaltige Desinfektionsmittel, Reinigungsmittel oder technische Lösungsmittel, dürften nicht mehr an Verbraucher abgegeben werden. Selbst streng kontrollierte industrielle Anwendungen müssten zusätzliche Auflagen erfüllen. Die toxikologischen Daten, die für die Neubewertungen von Ethanol herangezogen werden, basieren mit auf Daten zur oralen Aufnahme und zum missbräuchlichen Konsum von Alkohol als Genussmittel. Dieser Expositionsweg ist jedoch der bei industriellen Anwendungen von Ethanol nicht von Relevanz, da Ethanol als Biozid nicht oral aufgenommen wird. Kritiker fordern deshalb eine differenzierte Bewertung von Ethanol als industrieller Stoff, der die reale Exposition über die Haut, die toxikologisch deutlich unbedenklicher ist, vornehmlich bewertet.
Die toxikologische Gefährdung von Ethanol ist unbestritten, vor allem bei chronischem, missbräuchlichem Konsum. Sollte jedoch Ethanol in Anhang VI der CLP-Verordnung als CMR-Stoff aufgenommen werden, droht eine Beschränkung in zahlreichen Anwendungen, wie Desinfektionsmitteln und Reinigern. Gleichzeitig bleibt Ethanol im Lebensmittelrecht unangetastet, was weiterhin unbegrenzte Verfügbarkeit in Form von Getränken und Lebensmitteln bedeutet, obwohl die gesundheitliche Gefährdung dort weitaus größer ist. Diese Diskrepanz ist regulatorisch schwer vermittelbar und würde nicht nur bei Verbrauchern zu Verunsicherung führen.
Text: Ute Haßmann
Foto von Stefan Lehner auf Unsplash
Links:
Der Vorschlag Ethanol als Gift des Monats April 2025 zu wählen, kam vom Arbeitskreis 3R Praxis/Alternativ-methoden…
…da die aktuelle Diskussion um eine mögliche CMR-Einstufung die Notwendigkeit evidenzbasierter Regulierung und den Einsatz alternativer, praxisnaher Bewertungsmethoden und -strategien besonders deutlich macht.
Toxikokinetik
Ethanol wird rasch im Gastrointestinaltrakt resorbiert, hauptsächlich im Dünndarm. Die Metabolisierung erfolgt in der Leber primär über die Alkoholdehydrogenase (ADH) zu Acetaldehyd, welches über die Aldehyddehydrogenase (ALDH) weiter zu Acetat umgewandelt wird. Acetaldehyd gilt als wesentlicher toxikologischer Mediator, insbesondere im Hinblick auf karzinogene und mutagene Effekte. Genetische Polymorphismen, d. h. individuelle Unterschiede in den für die Verstoffwechslung von Ethanol entscheidenden Enzymen bedingen eine unterschiedliche Verträglichkeit der Wirkung von Alkohol sowie der Dauer des Abbaus von Ethanol und seiner Toxizität. Somit unterscheidet sich die individuelle Dosis, die zu einer Vergiftung führt, teilweise deutlich. Ab einem Blutalkoholgehalt von 0,3 ‰ treten in der Regel erste zentralnervöse Effekte auf.
Regulierung von Alkohol in LM
Zuständig für die Risikobewertung von Ethanol in Lebensmittel ist die Europäische Behörde für Lebens-mittelsicherheit (EFSA), während die Europäische Kommission sowie die Mitgliedstaaten für das Risikomanagement verantwortlich sind. Obwohl Ethanol als Reinstoff als krebserregend (Kategorie 1A) eingestuft werden soll, wird diese Einstufung nicht auf alkoholische Getränke übertragen, da sie als verzehrfertige Lebensmittel gelten und damit nicht unter die Chemikalienkennzeichnungspflicht fallen. Die EFSA erkennt die Risiken alkoholischer Getränke durchaus an, allerdings schreibt das geltende EU-Lebensmittelrecht keine verpflichtenden Warnhinweise für Alkohol vor. Derzeit muss lediglich der Alkoholgehalt ab 1,2 Vol.-% angegeben werden. Gesundheitswarnungen, wie etwa zum Krebsrisiko, sind bislang politisch nicht durchgesetzt worden, könnten aber auf nationaler Ebene eingeführt werden. Irland geht hier voran und hat 2023 angekündigt, ab 2026 verpflichtende Warnhinweise auf Alkoholflaschen einzuführen. In Deutschland gibt es bisher dahingehend keine Bestrebungen, obwohl der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) weiterhin deutlich über dem Durchschnitt der OECD-Staaten liegt, was sich auch in erhöhten Zahlen von alkoholbedingten Erkrankungen und Todesfällen widerspiegelt.
Harmonische Einstufung
In der Europäischen Union müssen alle chemischen Stoffe, die gefährliche Eigenschaften besitzen und entsprechend nachgewiesen wurden, korrekt eingestuft und gekennzeichnet werden, um einen sicheren Umgang zu ermöglichen. Hersteller und Importeure sind dabei verpflichtet, ihre Stoffe eigenverantwortlich gemäß der CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) zu bewerten und die entsprechenden Daten an die (ECHA) zu übermitteln. Für besonders gefährliche Substanzen, mit krebserregender, erbgutschädigender, fortpflanzungsgefährdender oder atemwegssensibilisierender Wirkung gilt eine sogenannte harmonisierte Einstufung. Diese sorgt dafür, dass in der gesamten EU eine einheitliche und verbindliche Gefahrenkennzeichnung verwendet wird. Vorschläge für diese Einstufung können von Behörden oder der Industrie eingereicht werden, bevor sie geprüft und schließlich in den Anhang VI der CLP-Verordnung aufgenommen werden. Ziel ist es, einen europaweit einheitlichen Schutz von Mensch und Umwelt zu gewährleisten.