Anilin – Fluch und Segen der synthetischen Farbstoffe

Die Geschichte von Anilin ist eng mit der von synthetischen organischen Farbstoffen verflochten. Entdeckt wurde Anilin 1826 vom brandenburgischen Kaufmann und Apotheker Otto Unverdorben. Ihm gelang es, durch Kalkdestillation von Indigo ein farbloses, an der Luft vergilbendes Öl zu gewinnen, das er „Crystallin“ bezeichnete. 1840 bekam die Verbindung dann ihren endgültigen Namen Anilin (anil = portugiesisch für indigo) durch Carl Fritzsche. Die färbenden Eigenschaften von Anilin waren zwar bekannt, der Türöffner für die große industrielle Produktion von synthetischen Farbstoffen war allerdings aber noch lange nicht gefunden. Denn Anilin musste aus natürlichem Indigo gewonnen werden. Dies war ein aufwändiges Verfahren und die Rohstoffquellen waren knapp.

Es war Friedlieb Ferdinand Runge, geboren im Februar 1794, dem es 1833 bei Untersuchungen an Steinkohleteer gelang, daraus Anilin zu isolieren. Steinkohleteer fiel in großen Mengen als giftiges, unliebsames Abfallprodukt bei der Leuchtgas- und Koksherstellung an, war also als Rohstoffquelle nahezu unerschöpflich. Runge bezeichnete die Verbindung jedoch als „Kyanol“, aufgrund seiner Farbreaktion mit Chlorkalk, der so genannten „Runge-Reaktion“. Nachfolgend gelang Runge erstmals die Herstellung eines blaugrünen Farbstoffes, als er salzsaures Anilin auf einen mit Bichromat vorbehandelten Stoff gab.

Auch wenn er selbst das Potential seiner Entdeckung ahnte, waren ihm die Hände für eine weitere Forschung an der Farbherstellung gebunden, da das Staatsunternehmen, in dem er arbeitete, diese nicht weiter verfolgen wollte. Im Jahr 1857 war es schließlich eine englische Fabrik, die erstmals aus Anilin synthetische malvenfarbene Textilfarbe herstellte. Bald folgten weitere Anilinfarben, und der Siegeszug der organischen synthetischen Farbstoffe begann.

Durch die Verwendung von Anilin kam es zu Beginn der industriellen Produktion immer wieder zu schweren Unfällen und chronischen Erkrankungen, was als „Anilinismus“ bezeichnet wurde. Anilin ist ein starkes Blutgift, welches den roten Blutfarbstoff Hämoglobin zu Methämoglobin oxidiert und damit den Sauerstofftransport verhindert. Das Einatmen, Verschlucken oder Eindringen in die Haut kann zu schweren Atemwegsproblemen, einer Methämogobinämie, und bis zum Tod durch Ersticken führen. Die Vergiftung ist allerdings reversibel und der Betroffene erholt sich bei rechtzeitigem Erkennen und entsprechender Behandlung schnell und vollständig.

Einige der frühen, übersättigten Steinkohlenteerfarben waren zudem in den ersten Jahren stark mit Sensibilisatoren und Allergenen belastet, wodurch es immer wieder zu Hautreaktionen kam. Aber auch Anilin selbst trug seinen Teil zu diesen Reaktionen bei. So ist Anilin heute als stark augenreizend und möglicherweise sensibilisierend eingestuft.

Der Frankfurter Chirurg Ludwig Rehn berichtete als erster 1895 auf einem Kongress von der auffallenden Häufung von Blasenkrebserkrankungen unter Farbenarbeitern. Es dauerte aber weitere 40 Jahre, bis 1937 „Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine“ als Berufserkrankung bei Arbeitern der synthetischen Farbenindustrie anerkannt wurden. Vier Amine (Benzidin, 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und 4-Chloro-toluidin) sind mittlerweile als krebserzeugend für den Menschen (Kategorie 1) eingestuft. Anilin selbst steht im Verdacht krebserregend (Kategorie 2) und mutagen (Kategorie 2) zu sein.

Seit 1897 wird Anilin in großem Umfang von der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) zur Synthese des vorher nur aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnenen Farbstoffs Indigo eingesetzt (Heumann-Synthese). Seitdem ist synthetischer Indigo als Farbe für Kleidung, Spielzeug und viele andere Produkte des täglichen Bedarfs nicht mehr wegzudenken. Vor allem bei billig produzierten Jeans kommt es durch unsachgemäßen Umgang bei der Produktion immer wieder zu Anilinrückständen an den Kleidungsstücken. Schützen können sich Verbraucher und Verbraucherinnen durch Kauf von zertifizierten Produkten. Nach GOTS (Global Organic Textil Standard) und IVN (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e.V.) Standard darf abspaltbares und frei verfügbares Anilin, als Rückstände aus der Farbstoffherstellung, nicht oberhalb von 100 mg/kg im Textil vorhanden sein.

Am 5. Dezember 2022 wurde die Richtlinie der europäischen Kommission über die Sicherheit von Spielzeug (Spielzeugrichtlinie) angepasst. Ein Grenzwert von 10 mg/kg für Anilin in Fingerfarben, wo es in freier Form vorkommt, und von 30 mg/kg für Anilin in Textil- oder Lederspielzeugmaterial wurde festgelegt. Diese Höchstmengen entsprechen auch der Nachweisgrenze bis zu der Anilin als Teil anderer Gemische nachgewiesen werden kann.

Text: Ute Haßmann
Foto: Jason Leung auf Unsplash

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Anilin

Anilin, auch als Benzamin, Aminobenzol oder Phenylamin bezeichnet, ist eine farblose, ölige, fischig riechende Flüssigkeit, die sich an der Luft oder im Licht durch Oxidation gelb verfärbt. Es ist in Wasser mäßig, in den meisten organischen Lösungsmitteln gut löslich.

Es ist das einfachste aromatische Amin. Die Bezeichnung „Aniline“ steht für alle Amino-Aromaten (Arylamine).

Anilin ist ein wichtiges Zwischen-produkt der chemischen Industrie. Neben der Herstellung von Farbstoffen, wird Anilin auch bei der Herstellung von Medikamenten und Kunststoffen verwendet.

Die Färbung mit Azo-Farben wird bis heute als Anilin-Färbung bezeichnet.

Friedlieb Ferdinand Runge

Runge wurde am 8. Februar 1794 geboren. Nach einer Apotheker-lehre begann er 1816 in Berlin mit dem Studium der Medizin.

Über Göttingen ging er nach Jena wo er 1819 die Doktorwürde in Medizin für seine Forschungen an Atropin erlangte. Wieder zurück in Berlin befasste er sich mit Indigo und seinen Verbindungen mit Metallsalzen und Metalloxyden und erhielt für seine Arbeit „De pigmento indico eiusque connubiis cum metallorum nonnullorum oxydis“ (Vom Farbstoff Indigo und seinen Verbindungen mit den Oxyden einiger Metalle) 1822 den Doktor in Philosophie.

Runge isolierte und charakterisierte viele Substanzen aus Steinkohle-teer, die wichtigsten darunter Anilin Pyrrol, Chinolin, Phenol und Aurin. Andere Substanzen, die er erstmals beschrieb, sind Thymol und die Alkaloide Hyoscyamin und Koffein. Runge starb am 25. März 1867 in Oranienburg unter ärmlichen Verhältnisse.

Indigo

Indigo leitet sich vom griechischen indikón ab, was indische bedeutet und auf das Urprungsland des Farbstoffs Ostindien hinweist.

Bereits im alten Ägypten wurde die Indigofarbe genutzt. Indigo ist ursprünglich ein pflanzlicher Farbstoff. Er wird aus Indigofera Tinctoria (Färberwaid) gewonnen, einem rosa blühenden Kreuz-blütler-Strauch.

Die Pflanze selbst enthält kein Indigo sondern die Vorläuferverbindung Indican. Die muss zunächst in einem Gärprozess in gelbes Indoxyl umgewandelt werden. Darauf folgende Oxidation an der Luft führt zur Entstehung des blauen Indigo.

Heumann-Synthese

1878 gelang dem deutschen Chemiker Adolf von Baeyer erstmals die synthetische Herstellung von Indigo. 1883 konnte er die chemische Struktur von Indigo vollständig aufklären. Verschiede Syntheseverfahren wurden in den nächsten Jahren entwickelt, um Indigo in großen Mengen herstellen zu können. Im Jahr 1890 entwickelte Karl Heumann einen erfolgreichen Syntheseansatz, dessen Patente er an die BASF und die Hoechst verkaufte. Bei der „Ersten Heumann-Synthese“ wird zunächst Anilin mit Chloressigsäure zu N-Phenylglycin umgesetzt. In einer Kaliumhydroxid-Schmelze erfolgt der Ringschluss zum Indoxyl. Dieses oxidiert dann mit Sauerstoff in alkalischer Lösung zu Indigo. Die schlechte Ausbeute führte aber zur Weiterentwicklung der Methode. Bei der „Zweiten Heumann-Synthese“ werden Anthranilsäure und Chloressigsäure als Edukte zur Indoxylherstellung verwendet.

Aus diesen gewinnt man Phenylglycin-o-carbonsäure, was in einer Natriumhydroxidschmelze zu 2-Indoxylcarbonsäure umgewandelt wird. Die Carbonsäure spaltet beim Erwärmen Kohlenstoffdioxid ab und es entsteht Indoxyl, was mit Sauerstoff zu Indigo oxidiert wird.